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Die „Ebersbacher-Straße“ in Köln

Die Fotografien und Informationen für den folgenden Bericht wurden von mir zwar bereits im Jahre 2006 aufgenommen und recherchiert, aber erst für die vorliegende Jahreszeitung 2008 habe ich das Thema endgültig bearbeitet.

Wenn man von Ebersbach nach Köln fährt, so ist das keine Weltreise. Zwar sprechen die Menschen hier einen anderen Dialekt und in jeder Kneipe trinkt man fast nur Kölsch-Bier, das kennt man ja alles. Überrascht ist man aber schon, wenn man auf dem Stadtplan der Millionenstadt am Rhein eine Ebersbacher-Straße entdeckt. So erging es mir vor über zehn Jahren. Nun, es gibt mehrere Orte, die den gleichen Namen tragen, zum Beispiel Ebersbach in Sachsen, die Partnerstadt von Ebersbach an der Fils, um nur einen von den knapp zwanzig Orte in Deutschland zu nennen, die diesen Namen tragen. Erstaunt studiert man also den Stadtplan weiter. Man befindet sich mit dem Finger auf dem Ortsteil Bilderstöckchen im Nordwesten der Stadt. Knapp fünf Kilometer sind es Luftlinie zum Kölner Dom. Gleich neben der Ebersbacher-Straße liegen die Göppinger-Straße, die Stuttgarter-, Hechinger-, Uracher- und Ravensburger-Straße, die Liste ließe sich noch weiter führen. Viele bekannte schwäbische Kreisstädte findet man hier als Straßennamen wieder. „Nachkriegs-Siedlung“ denkt man. „Da hatte einer der Verantwortlichen im Kölner Bauamt eine schwäbische Ader gehabt“ sagt man sich. Aber wie passt das kleine und ehrlich gesagt, nicht gerade weltbekannte Ebersbach in den Reigen der schwäbischen Kreisstädte? Die Frage scheint mir berechtigt.

Sommer 2006: Ich will es endlich genauer wissen. Wie sieht nun die Ebersbacher-Straße aus? Mit der U-Bahnlinie 13 fahre ich bis zur Haltestelle Escher-Straße. Nach wenigen Schritten stehe ich bereits in der Ebersbacher-Straße, ich reibe mir die Augen und danke: „Das gibt es doch nicht!“ Mitten in der Millionenstadt, nur wenige Kilometer vom Zentrum, stehe ich auf einem unbebauten wildem Stück Land! Die Ebersbacher-Straße ist schätzungsweise zweihundert Meter lang und unbebaut. Links und rechts des maroden Straßenbelages wächst Gras und Jahrzehnte alte Bäume spenden den parkenden Autos in der Mittagshitze Schatten. Die anderen Straßen drum herum sind alle bebaut, die Reutlinger-Straße säumen zweistöckige Einfamilien-Reihenhäuser, die gerade renoviert werden. Doch in der Göppinger-Straße stehen ganze Häuserreihen leer, die Scheiben sind eingeworfen, ein Anblick wie in einer Geisterstadt. Die Wohnbebbauung der Uracher- und der Ravensburger-Straße erinnern dagegen an Schrebergartenidylle, so grün und blumenreich sind die Vorgärten der kleinen Häuser dort. In einem Garten wächst sogar eine drei Meter hohe Hanfpalme, das warme Klima der Kölner Bucht lässt grüßen.


Einmündungsbereich der Reutlinger-Straße in die Ebersbacher-Straße.


Blick von der Göppinger-Straße in die Ebersbacher-Straße.


Leerstehende Häuserzeile auf der Nordseite der Göppinger-Straße.

Erstaunt von den Eindrücken und enttäuscht von der öden und unbebauten Ebersbacher-Straße führt mich mein Weg in den nahe gelegenen Blücher-Park, hier überlege ich bei einem erfrischenden Kölsch, wie es mit den Recherchen weiter gehen soll. Zunächst suche in der Stadtbibliothek und Universitätsbibliothek nach einem Hinweis, ohne Erfolg. Schließlich erkundige ich mich beim Stadtarchiv und werde ans Amt für Liegenschaften, Vermessung und Kataster verwiesen. Dort werde ich wiederum weitergeleitet an das Archiv für Straßenbenennung[1] und ich mache telefonisch einen Termin aus. „Was es alles gibt“ denke ich mir, „die haben in Köln ein extra Archiv für die Straßenbenennung!“

Im Archiv für Straßenbenennung werde ich endlich fündig. Aus einem Schriftstück des Kölner Tiefbauamtes vom 11.02.1955 geht hervor, dass die Wohnungsgesellschaft des Rheinischen Handwerks auf dem Parkgürtel an der Escher-Straße umfangreiche Neubauten für die Besatzungstruppen errichten wollte. Auf dem Gelände befänden sich vier Planstraßen, die nun ausgebaut und bebaut werden sollten. Zunächst wandte sich das Kölner Liegenschaftsamt an das Historische Archiv der Stadt mit der Bitte um einen Vorschlag zur Straßenbenennungen. Da von Seiten des Archivs keine Vorschläge kamen, entschloss man sich bei einer Sitzung des Liegenschaftsamtes am 11. März 1955 die neuen Straßen „gleich den in der Nachbarschaft bereits vorhandenen nach süddeutschen Städten zu benennen.“ Aus den weiteren Schriftstücken geht hervor, dass man bis 1939 in diesem Ortsteil bereits mehrere Straßen nach süddeutschen Städten benannt hatte, wie die Ulmer- und die Tübinger-Straße.

Benannt wurden aber in der Sitzung am 11. März 1955 anstatt der zunächst geplanten vier nun sogar fünf Planstraßen: Reutlinger-, Göppinger-, Uracher- und Hechinger-Straße und als Planstraße E: die Ebersbacher-Straße. Am 01.April 1955 gab die Verwaltungskonferenz ihr Einverständnis zur Straßenbenennung. Die Ebersbacher-Straße sollte von der Reutlinger-Straße aus parallel zur Escher-Straße verlaufen. In den folgenden Jahren wurden dann noch weitere Wohnhäuser für die Besatzungstruppen errichtet, daher führte man die Straßenbenennung nach süddeutschen Städten fort. Warum man bei der Straßenbenennung nach Städten eine Ausnahme gemacht und eine kleine Gemeinde aufgenommen hatte, das ging aus keinem der nüchtern verfassten Schriftstücke des Kölner Spezialarchivs hervor. Ebersbach besaß 1955 noch kein Stadtrecht, die Stadterhebung geschah erst 1975. Zunächst blieb für mich das Rätsel der Ebersbacher-Straße in Köln ungelöst. Ich stellte viele Vermutungen an, blieb aber immer in einer Sackgasse stecken. Heute habe ich vermutlich die richtige Antwort auf die Frage gefunden, warum eine einzelne Gemeinde unter den süddeutschen Kreisstädten als Straßenname in Köln zu finden ist. Die Vermutung, dass eine Persönlichkeit aus Ebersbach damals auch im Rheinland bekannt war, ergab tatsächlich einen Treffer. Ich fand einen Ebersbacher Bürger, der in den 50’er Jahren in politischen Kreisen bundesweit eine Rolle spielte: Gustav Seebich[2]. Als Präsident des Deutschen Landkreistages war Seebich natürlich auch im Rheinland bekannt. Von 1949 bis 1959 hatte der Deutsche Landkreistag seine Geschäftsstelle in Bad-Godesberg, bevor 1959 die Dienststelle in die damalige Hauptstadt nach Bonn verlegt wurde. Die Gründungsväter des Deutschen Landkreistages der Nachkriegszeit waren tief davon überzeugt, dass die Demokratie in Deutschland eine Chance haben müsse. Auch Gustav Seebich sah in der kommunalen Selbstverwaltung ein Fundament der Demokratie und die Deutsche Biographische Enzyklopädie[3] bezeichnet ihn sogar, als einer der bedeutendsten Vertreter der kommunalen Selbstverwaltung in der Bundesrepublik. Der Ebersbacher Gustav Seebich war allseits sehr geschätzt. Sein diplomatisches Talent, seine Zurückhaltung aber auch sein Durchsetzungsvermögen, sowie seine Kompetenz verschafften ihm in jenen akademischen Kreises der Doktoren und Professoren hohes Ansehen und Respekt, aber auch ehrlich gemeinte Sympathie.

Wir müssen davon ausgehen, dass die Straßenbenennung Ebersbacher-Straße im Kölner Stadtteil Bilderstöcken als Hommage an den Präsidenten des Deutschen Landkreistages des Jahres 1955 anzusehen ist. Ich persönlich wünsche mir, dass die Ebersbacher-Straße in Köln in Zukunft endlich auch architektonisch aufgewertet wird. 2006 sah es dort ähnlich aus, wie gegenwärtig auf dem Ebersbacher Kauffmann Areal, öd und leer. Es kann nur besser werden.

Uwe Geiger
Leiter von Museum und Archiv

[1] Zentrales Archiv für Straßenbenennung, Willy-Brandt-Platz, Köln. Die hier ausgewertete Unterlagen befinden sich in einzelnen Heftern zu den jeweiligen Straßennamen.

[2] Seebich war von 1923-1948 Bürgermeister von Ebersbach gewesen, bevor man ihn zum Landrat gewählt hatte. Von 1948-52 war er Vorsitzender des Landkreistages von Württemberg-Baden und bekleidete von 1952 bis 1960 das hohe Ehrenamt des Präsidenten des Deutschen Landkreistages.

[3] Deutsche Biographische Enzyklopädie, München 2000, Band 9, Seite 256 ff